Wenn Werke von Komponisten wie Tschaikowski oder Rachmaninow das Programm dominieren, stehen Konzertabende gerne mal unter dem Motto „Ein russischer Abend“. Wer aber in der Philharmonie dabei ist als Wladimir Spiwakow Ende Oktober mit seinen „Moskauer Virtuosen“ nach München kommt weiß wie ein echter „russischer Abend“ aussehen kann.
Indessen kann das Programm dieser Jubiläumstour durchaus als international bezeichnet werden. Das dargebotene Mosaik an Werken ist seiner Kombination wohl einzigartig. Und dennoch hängt schon an der Abendkasse ein Hauch von Moskau in der Luft. Die große Mehrheit des Publikums kommt aus der ehemaligen Sowjetunion, das sieht und hört man. Als Teil der russischen Community Münchens trifft man hier fast zwangsläufig auf alte Bekannte.
Florett statt Geigenbogen
Die ersten Klänge des Abends gehören Luigi Boccherinis Symphonie d-Moll. Von Beginn an überzeugt das Kammerorchester mit perfekt gesetzten Akzenten und intelligenten Dynamikwechseln. Mal sind die Handbewegungen von Maestro Spiwakow butterweich, mal sticht er mit dem Taktstock zu wie mit einem Florett. Seine Vorgaben sind klar, ist er doch als Dirigent schon längst so erfahren wie mi dem Geigenbogen. Dennoch bildet die Musik des italienischen Komponisten im riesigen Saal der Philharmonie eher einen Fremdkörper. Wie viel größer wäre die Wirkung, wenn man sie in das Gewölbe einer Barrockkirche transportieren ließe?
Beim anschließend gespielten Klavierkonzert Mozarts in A-Dur beweist die erst 15-jährige Shio Okui aus Japan, dass sie sich bereits mit vielen erfahrenen Pianisten messen kann. Noch mehr Zauber bringt ihre Zugabe, bei der sie sich wacker und professionell gegen wiederholte Klingeltöne behauptet. Nicht wenige Zuhörer nutzen den Moment, um Videos auf ihren Smartphones festzuhalten. Offenbar hat der eigene Social Media Auftritt für sie einen höheren Stellenwert, als den Moment einfach zu genießen.
Wladimir Spiwakow genießt ganz sicher jeden Augenblick dieser Tournee, bei der sein Orchester in 10 europäischen Städten gastiert und dabei sein 40-jähriges Jubiläum feiert. Der Maestro lächelt, tänzelt, joggt über die Bühne. Beim Schlussakkord wendet er sich gerne in Richtung der Menge, um mit seinem in die Höhe gestreckten Dirigentenstab den tosenden Beifall einzufangen. Das hat er sich erarbeitet und wer mag ihm das verübeln?
Ein neues Klangempfinden
Das zu Beginn der zweiten Hälfte gespielte Prelude und Scherzo, op. 11 von Schostakowitsch bildet natürlich auf den ersten Blick ein recht großen Stilbruch zu den klassischen Werken des ersten Teils. Doch wer sich an dieses neue Klangempfinden etwas gewöhnt hat sollte die Musik selbst mit einem eher konservativen Ansatz als interessant und nicht allzu modern wahrnehmen.
Bei der „Little Daneliade“ des kürzlich verstorbenen Georgiers Gija Kantscheli, der unter anderem als Filmkomponist Bekanntheit erlangte, kommen die Zuhörer ebenfalls auf ihre Kosten. Mehr noch: Sie werden dazu aufgefordert, selbst Teil der Performance zu werden.
Zum Abschluss des Programms eröffnet Astor Piazzollas »Vier Jahreszeiten in Buenos Aires« vier Solisten an der Violine die Möglichkeit an die Grenzen ihres Instruments zu gehen. Als waschechte Virtuosen machen sie dem Namen des Orchesters dabei alle Ehre und Spivakov ist so berührt, dass er sie beim Dirigat beinahe in seine Arme schlingt.
Natürlich wird auch an Zugaben nicht gespart. Und dann geschieht das, worauf alle gehofft haben, aber was bis zum Schluss dennoch eine Überraschung bleibt. Für einige Augenblicke verschwindet der Maestro, um unter tosendem Applaus mit seiner Stradivari auf die Bühne zurückzukehren. Ein kleiner Junge läuft nach vorne, um sich ein Autogramm zu holen, er muss sich aber noch einen Augenblick gedulden. Denn dieser Moment gehört dem großen Geigenvirtuosen. Mit viel Gefühl spielt Spivakov höchstselbst die Serenade aus op. 3 von Joseph Haydn. Die letzten Mobiltelefone verstummen und alle halten den Atem an. So fühlt sich also das Erlebnis Spivakov an.