Warum nicht mal raus aus Bayern und zum Rasen-Tennis nach Stuttgart?
Schließlich sind die Gelegenheiten, solch hochklassige Spiele auf deutschem Boden zu verfolgen doch eher eine Seltenheit. Die glorreichen Zeiten von Becker, Graf, Stich usw. sind seit einer Ewigkeit vorbei und der ehemals elitäre Sport hat in Deutschland an seinem Stellenwert erheblich eingebüßt.
Dennoch oder umso mehr sollte man die Möglichkeiten nutzen, vorbeizuschauen, wenn sich Turniere wie jenes in Stuttgart ankündigen. Also: Nichts wie los zu den BOSS Open!
Für das JOIN Magazin der Junge Presse Bayern bin ich mit dem Regionalzug von München nach Stuttgart gefahren – das 49-Euro-Ticket sorgt derzeit für eine besonders günstige Verbindung. Nach einem Umstieg in Ulm passiert man solch schöne beschauliche Städtchen wie das baden-württembergische Geislingen an der Steige.
Die Fahrt geht zwar länger als mit dem Auto oder ICE, doch es lohnt sich. Zumal in Stuttgart alles eine Spur anders ist. Das fängt mit der Lage an: Mit der Stadtbahn, die streckenweise oberirdisch fährt geht es rauf zum Killesberg. Um die Anlage zu erreichen muss man von der gleichlautenden Station noch etwas höher steigen, vorbei an einem Park und diversen Schrebergärten.
Angekommen am TC Weißenhof werden die Besucher mit Fotos der Vorjahressieger empfangen. Daneben gibt es Werbebilder des Italieners Matteo Berretini, soweit das Auge reicht. Der scheidet zwar in der ersten Runde unter Tränen aus, weil er seine Leistung nach einer Verletzung noch nicht bringen kann, fegt in Wimbledon später aber Alexander Zverev mit einer überragenden Performance regelrecht vom Platz. So schnelllebig ist der „Tennis-Zirkus“…
Neben dem großen Centercourt bietet bei den Boss Open das sogenannte „Colosseum“ ein einzigartiges Ambiente. Hier wurden in der zweiten Turnierhälfte vor allem die Doppel ausgespielt.
Ehemals ein traditionelles Sandplatzturnier, wagte man in Stuttgart vor einigen Jahren den Sprung auf den „heiligen“ Rasen. Die Veranstalter haben dabei – wie sich herausstellen sollte – auf das richtige Pferd gesetzt. Wenige Wochen vor Wimbledon nutzen viele Top Stars die Vorbereitung auf den gepflegten Plätzen am Weißenhof. Federer und Nadal haben hier in der Vergangenheit schon gespielt und auch am diesjährigen Teilnehmerfeld war zu erkennen, dass die BOSS Open kein durchschnittliches ATP 250er sind – eigentlich die niedrigste Kategorie auf der ATP-Ebene!
Neben dem späteren Sieger Tiafoe schlugen hier 2023 solche etablierten Größen wie Stefanos Tsitsipas oder Taylor Fritz auf. Shapovalov, Musetti, Karatsev, Gasquet … – bei solche einer Besetzung fällt die Wahl zuweilen schwer, wessen Matches es zu verfolgen gilt.
Doch auch die Trainig-Sessions auf den Außenplätzen waren gut besucht. Etwa jene von Tsitsipas und Eubanks. Aus nächster Nähe war hier zu verfolgen, wie zwei Spieler miteinander trainierten, die sich in ein paar Wochen am Center Court in Wimbledon duellieren sollten. Eubanks schaffte in London die Sensation gegen den Griechen und spielte sich in fünf Sätzen ins Viertelfinale an der Church Road.
Noch in Stuttgart verlor Tsitsipas in einem engen Match, welches beste Stimmung und einige La-Ola-Wellen bot, gegen den „Veteranen“ Richard Gasquet in einem Spiel zweier wahrhaftiger Ästheten. Gleich zwei einhändige Rückhände auf Rasen – was will man mehr? Zugegeben: Der Grieche ist auf dieser Seite schwächer, schlägt manchmal unerklärliche Rahmentreffer, doch viele Ballwechsel waren einfach Tennis zum genießen.
Der ein oder andere wird nun fragen: Ballwechsel auf Rasen? Ja, ein zuweilen schwieriges Unterfangen. Wenn etwa solche dominante Power-Hitter wie Fritz und Karatsev aufeinander treffen, kommen diese selten über mehr als drei ihrer wuchtigen Schläge hinaus – Aufschlag, Return und der sogenannte „Serve+1“. Schlag. Auf Sand gehen die Punkte deutlich länger. Der Rasen ist hingegen ein schneller und mitunter rutschiger Belag. Nicht jedem mag ein solches Spiel attraktiv erscheinen, doch machen nicht gerade die verschiedenen Beläge und die Kunst, das Spiel auf ihnen zu beherrschen den Tennissport gerade so komplex und vielseitig?
Etwa das mutige Serv- and-Volley-Spiel von Jan-Lennard Struff, welcher, unterstützt vom deutschen Publikum, bis ins Finale der BOSS Open getragen wurde, wo er in einem Thriller gegen Frances Tiafoe den kürzeren ziehen musste. Letzterer hat sich mit dem Titel erstmals unter die Top 10 der Weltrangliste gespielt.
Die Woche bei den BOSS Open in Stuttgart hat vor allem eines: Spaß gemacht. Das hervorragende Wetter hat dazu nur beigetragen und schon jetzt steigt die Vorfreude auf die kommenden Ausgaben des Turniers. Bis dahin bleiben die Erinnerungen an die wunderschönen Rasen-Plätze und Tennis vom Feinsten.