Drama in e-Moll – Wie entsteht ein Soundtrack?

Musik ist magisch. Mit Musik steht oder fällt ein guter Film – denn es ist die Musik, die unterschwellig maßgeblich die Grundstimmung transportiert. Dem durchschnittlichen Kinobesucher fällt sie aber erst wirklich auf, wenn es einmal nicht klappt und ein Bruch zur Vision des Bildes besteht.

Hiermit lade ich euch ein, tiefer in die Welt der Soundtracks einzutauchen, indem ich euch mit auf den Weg der Entstehungsgeschichte zum offiziellen Motion Picture Soundtrack von Johannes Gerischers Debut-Films „DISC0NNECT_“ (2025) nehme. Es ist empfehlenswert den Film zuvor auf YouTube zu sehen – allerdings für diesen Artikel nicht notwendig.

Zunächst jedoch kurz etwas über mich: Ich habe nur ein sehr begrenztes Talent für Musiktheorie, die Musik als Kunst jedoch liegt mir im Blut. Ich war noch im Kindergarten, als ich das erste Mal vor einem Klavier saß, motiviert davon irgendwann einmal Orgel spielen zu wollen – ein Instrument mit der Größe eines ganzen Gebäudes. Das hat einen prägenden Eindruck hinterlassen. Bis ich dann tatsächlich gelernt habe Orgel zu spielen – mit dem Ziel, den „Interstellar“ Soundtrack von Hans Zimmer zu spielen – sind etwa 15 Jahre vergangen. Das jedoch ist eine gänzlich andere Geschichte, reserviert für ein anders Mal.

Nun können wir uns schließlich dem Entstehungsprozess dieses Soundtracks zuwenden:

Den Fortschritt des Filmteams begleitend war schon früh klar, welche Stellen einmal mit Musik untermalt werden sollen. Mit dem Skript auf dem Tisch und frühem Bildmaterial auf einem der drei Bildschirme vor mir, habe ich mich somit schon Monate vor Drehende den ersten musikalischen „Skizzen“ zugewendet.

Begonnen habe ich mit der Note „E“, hinzukamen zwei weitere: „Gis“ und „H“. Zusammen ergibt das einen sogenannten „Akkord“: e-Moll. „e-Moll“ vermittelt ein Gefühl, das der Grundstimmung des Films entspricht: dystopisch, cyperpunk-esque. In der ersten Hälfte unterschwellig verzweifelt, beinahe bedrohlich. Zur zweiten folgt dann die Auflösung.

Alle weiteren Akkorde sind dann eine Entwicklung aus dieser „Wurzel“. Die Wahl der Instrumente ist der zweite wesentliche Faktor. Der Film beginnt mit einem Bass lastigen Synthesizer – strenggenommen sogar mehreren, die übereinandergelegt sind, um einen völlig neuen Klang zu erzielen. Begleitet wird dieser Bass später von einer Cello-Sektion, die Tremolo spielt – das klassische Instrument im Kontrast zum Synthesizer ist ein Foreshadowing zur Auflösung des Films, welche musikalisch parallel mit klassischen Instrumenten erfolgt.

Nach einer kurzen Pause setzt schließlich der zweite Track „Miss You“ ein – wieder getragen von einem tiefen, dunklen Synthesizer – kontrastiert mit einem hohen „Ping“ Effekt. Verzweiflung und Einsamkeit sind die vermittelten Gefühle. Der Schlüsselmoment dieser Szene ist im Film die Textnachricht „Ich vermisse dich“. Genau in diesem Moment erfolgt daher auch die Auflösung des Tracks mit einem „Crescendo“ – einem starken Anschwellen der Soundkulisse.

„Respite“ (Track 3) ist ein „Intermezzo“. In der Klassik ist das der Begriff für ein kurzes, meist ruhiges Zwischenstück. Es ist die Ruhe vor dem Sturm des nächsten Tracks.

Über Track 4 „Heartache“ müssen wir etwas mehr sprechen. Der Arbeitstitel des Tracks lautete „Kammerflimmern“. Kammerflimmern ist medizinisch eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung, beginnend bei etwa 300 bpm (beats per minute / Schlägen pro Minute). Das ist deshalb relevant, weil der Hintergrund des Tracks von einem Cello begleitet wird – eine Nuance zum Anfang des Soundtracks, diesmal jedoch in der Spielweise „Bartok“ (dabei werden die Saiten so stark gezupft, dass sie auf das Griffbrett schnalzen) – welches anfangs mit einer Geschwindigkeit von  120 bpm beginnt und kontinuierlich bis exakt 300 bpm ansteigt. Gespielt wird jedoch nur auf jeden zweiten „Schlag“, was die bpm für den Zuhörer halbiert. Dennoch wird somit ein zunehmender Stress induziert, welcher schließlich in der breitesten und lautesten Synthesizer-Soundkulisse gipfelt. Die Endmarkierung liegt in der Timeline des Films genau an der Stelle, an welcher die Hauptdarstellerin mit den Worten „Ich muss hier raus“ den zweiten Teil des Films einleitet. Eine Rückbesinnung zu den Wurzeln des Menschseins – und so wechselt die Atmosphäre auch von digitalen Synthesizern zu klassischen Instrumenten.

Nun wird der Soundtrack von Streichern getragen – diesmal jedoch sind es Violinen. Gespielt wird „Sordino“ – also mit Dämpfern. Der Klang ist intim, melancholisch, gefühlvoll und mit wenigen Obertönen. Die Melodie legt sich elegant darüber, gespielt von einer einzelnen Querflöte und leicht wie eine Feder. Track 5 „Truth of the Soul“ endet, doch wenige Sekunden später erklingt schon die Fortsetzung „Faith of the Heart“. Sie beginnt verspielt, wechselt dann jedoch wieder zum Motiv aus „Truth of the Soul“ – verstärkt von einem Chor und weiteren Sektionen des Orchesters. Die Stimmung ist beinahe sakral – sie gibt dem Moment eine übersinnliche Tiefgründigkeit und untermalt das menschliche Bedürfnis gehört und verstanden werden zu wollen.

Die Hauptfigur ist erfolgreich aus ihrer dystopischen Umwelt ausgebrochen und hat sich emotional geöffnet – musikalisch wird dieser heroische Akt von einem Instrument repräsentiert, welches in der Filmmusik sehr häufig dazu Anwendung findet: Das Horn. Mit eleganter Klarheit spielt es selbstsicher sein Leitmotiv.

Vor dem Abspann folgt noch eine Montage, welche durch ein Klavierstück begleitet wird – eine Rückbesinnung auf das Ende des ersten Tracks. Danach die Credits – mit einem Stück welches die dystopischen Synthesizer und das melancholische Orchester harmonisch mit Symbolwirkung vereint.

Alles in allem war es mir ein besonderes Vergnügen, diesem Filmprojekt einen Soundtrack beisteuern zu dürfen, der nicht nur zum Film passt, sondern in dem ich mich in großen Teilen auch stilistisch wiederfinden kann. Auch wenn ich  nach der Premiere immer noch neue Ideen habe, ist es jetzt an der Zeit für mich, das nächste musikalische Nebenprojekt zu finden.

Den gesamten Soundtrack findet ihr inklusive Bonustracks hier:

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