Tomorrow Today? Ein Erfahrungsbericht vom Burning Man

Burning Man ist kein Festival im klassischen Sinn. In Nevadas Black Rock Desert wird Jahr für Jahr eine temporäre Stadt errichtet: Black Rock City. Für gut eine Woche entsteht hier eine Community, die sich weitestgehend selbst organisiert. Zwar sorgt die Burning Man Organization (BMORG) für die Rahmenbedingungen wie Stadtplan, Toiletten, Absprachen mit Behörden sowie „Man“ und „Temple“ – den Rest erschaffen die Teilnehmenden jedoch selbst.

Grundlage hierfür sind die zehn Prinzipien, unter anderem „Radical Self-Reliance“, „Gifting“, „Decommodification“ und „Leave No Trace“. Sie bedeuten, dass jede Person mitbringt, was sie braucht – und am Ende auch wieder mitnimmt. Es gibt vor Ort keine kommerziellen Angebote. Das einzige Produkt, das sich käuflich erwerben lässt, ist Eis für die Kühltruhe. Viele Camps haben jedoch regelmäßig Speisen und Getränke verschenkt – auf dem Weg durch die Stadt ist man immer an zahlreichen Bars vorbei gekommen, die ihre Spezialitäten kostenlos anbieten.

Vorbereitung und Orientierung

Ich bin mit dem offiziellen Burner Express Bus von Reno aus angereist und habe mich auf komplette Selbstversorgung eingestellt: Huel-Flüssignahrung, Nüsse, veganes Jerky, Proteinriegel, ein halbwegs stabiles Zelt und eine reflektierende Folie gegen die Sonne. Wasser konnten sich Bus-Reisende aus einem Container abfüllen. Keine Spuren zu hinterlassen impliziert auch, dreckiges Wasser vom Zähneputzen, Spülen und Waschen aufzufangen und wieder mitzunehmen. Es gab weder Duschen noch Mülleimer. Da ich mit dem Bus auch wieder zurückgefahren bin, durfte ich meinen Müll vor der Fahrt jedoch abgeben.

Zur Navigation muss man sich Black Rock City wie eine Uhr vorstellen. In der Mitte, der offenen Playa, befindet sich der „Man“, der am Samstagabend traditionell angezündet wird. Etwa einen Kilometer entfernt befinden sich außen von 2:00 bis 10:00 Uhr die Camps auf mit Buchstaben bezeichneten Ringstraßen. Der obere Bereich ist die Deep Playa, eine Freifläche mit weiteren Installationen. So wird die Position eines Events oder eine Installation beispielsweise als 4:30 & G oder 1:00 & 3300ft angegeben. Der Durchmesser des Geländes betrug vier bis fünf Kilometer – ohne Fahrrad wäre ich schnell verloren gewesen. Gebrauchte Fahrräder werden in Reno verkauft, können im Bus mitgenommen und später in Reno am Flughafen wieder abgegeben werden.

Bei meiner Ankunft haben ein Sandsturm und Gewitter gewütet, ich habe mein Zelt so gerade am nächstbesten Platz aufbauen können. Nachdem es in den ersten Tagen viel geregnet hat, hatte sich der Wüstenstaub etwas abgesetzt und die folgenden Tage konnten wir uns über perfektes Wetter freuen. Ich bin oft allein durch Black Rock City gezogen, um mir die zahlreichen Installationen anzuschauen oder Events von anderen Camps zu besuchen. An manchen Abenden war ich mit meinen Campnachbar*innen unterwegs – generell ist man sehr schnell mit Leuten ins Gespräch gekommen. Das Mobilfunknetz funktioniert natürlich sehr schlecht, Informationen erhält man vor allem über ein Analogradio. Über ein Peer-to-Peer-Netzwerk mit speziellen Meshtastic-Boards kann man mit anderen Teilnehmer*innen chatten. Gelegentlich waren auch WLAN-Hotspots mit Starlink-Anbindung zu finden.

Dynamik und Kunst statt Mainstage

Burning Man ist eher ein Kunst- als ein Musikfestival. Eine Hauptbühne gibt es nicht. Zwar gab es viele kleinere Bühnen und eine größere Stage der Playground Foundation, die größte Rolle spielen jedoch die Mutant Vehicles. Dabei handelt es sich um Kunstfahrzeuge, die kaum noch als Fahrzeuge zu erkennen sind und sich auf der offenen Playa zu spontanen Dancefloors zusammenschließen. Das macht die Nacht sehr dynamisch – man weiß nie genau, wo was wann passiert. Zwar gibt es ein Programmheft und eine Offline-App, hier findet man aber eher Events an den Camps, allerdings verliert man dort aufgrund der Fülle an Informationen auch sehr schnell den Überblick.

Das Gelände liegt auf Land unter der Aufsicht des Bureau of Land Management und ist damit direkt der US-amerikanischen Bundesregierung unterstellt. Somit ist auf dem Event neben den gängigen illegalen Drogen auch medizinisches Gras verboten. Generell konnte man eine starke Polizeipräsenz beobachten. Ich empfehle aber ohnehin, die Veranstaltung nüchtern zu erleben, da es genug zu entdecken gibt und man sich mit Alkohol und anderen Substanzen aufgrund der Bedingungen in der Wüste grundsätzlich einem großen Risiko aussetzt.

Nachhaltigkeit und Kontroversen

Das diesjährige Motto „Tomorrow Today“ greift den Gedanken auf, Zukunft schon heute auszuprobieren. So haben sich viele Projekte und Installationen mit Technik, Nachhaltigkeit und sozialem Zusammenleben befasst. Manche Camps wurden etwa mit Solarenergie betrieben oder haben mit biologisch abbaubaren Baustoffen experimentiert. Doch neben atemberaubenden Kunstwerken prägen auch das traditionelle Abbrennen von Holzskulpturen, Dieselgeneratoren und Privatjets das Stadtbild von Black Rock City. Wie viel „Tomorrow“ steckt hier tatsächlich im „Today“?

Schätzungen zufolge werden 90 Prozent der Emissionen des Events durch die An- und Abreise der Teilnehmer*innen verursacht. Neben den Flügen von Menschen aus aller Welt spielen hier Wohnmobile und Privatjets eine große Rolle. Black Rock City verfügt über einen temporären Flugplatz, von dem auch Shuttle-Flüge nach Reno und San Francisco für mehr als 800 Dollar angeboten werden. Obwohl es seit einigen Jahren eine Sustainability Roadmap gibt, sind viele Ziele in der Realität noch in weiter Ferne.

Leider hat in diesem Jahr ein trauriges Ereignis die Veranstaltung überschattet. Kurz vor dem „Man Burn“ wurde ein lebloser Teilnehmer mit Stichverletzungen gefunden. Die Polizei ermittelt wegen eines Tötungsdeliktes, eine Festnahme gab es in dem Zusammenhang bislang allerdings nicht.

Günstig ist die Teilnahme ebenfalls nicht. Aus dem Ticket für 650 Dollar wurden mit allen Steuern und Gebühren mehr als 800 Dollar, der Shuttle-Bus schlägt mit Bike und Wasser mit 400 Dollar zu Buche. Natürlich muss man den Flug aus Deutschland, Outfits, Hotelkosten und Lebensmittel noch dazurechnen. Außerdem musste ich einen Teil der Ausrüstung neu anschaffen und nach Reno liefern lassen. Trotz allem konnte man auf Burning Man viel erleben, entdecken oder einfach nur Spaß haben. Ich würde nicht ausschließen, irgendwann wieder nach Black Rock City zurückzukehren.

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