Wir schreiben den 8. November 1923, ein Donnerstagabend in München. Adolf Hitler hatte man bis dahin eher als „Wüterich aus Österreich“ denn als ernstzunehmenden Politiker wahrgenommen. Ein Ruf, den er schleunigst ändern wollte, notfalls mit Waffengewalt. Zusammen mit Erich Ludendorff, einem angesehenen General des ersten Weltkriegs, stand sein Plan fest: vom Bürgerbräukeller ausgehend mit den SA-Einheiten durch die Stadt marschieren, die bayerische Staatsregierung zur Kooperation zwingen, dann den Präsidenten Ebert stürzen und die Macht an sich reißen. Nur: wo war das Landeskabinett?
Diese Frage kann uns Ellen Amman beantworten. Mit vollem Geburtsnamen Ellen Aurora Elisabeth Morgenröte Sundström wurde sie als Diplomatenkind in Schweden geboren und katholisch erzogen. 1890 zog sie als 20-jährige mit ihrem Mann, einem deutschen Orthopäden, nach München. Dort setzte sie ihr früh begonnenes Engagement fort: sie gründete einen christlichen Mädchenschutzverein, die erste katholische Bahnhofsmission und war Mitgründerin des Katholischen Deutschen Frauenbundes, der bis heute existiert. Mit dem Beginn der Weimarer Republik 1919 wurde das allgemeine Wahlrecht eingeführt, noch im selben Jahr stellte sie sich für die Bayerische Volkspartei zur Wahl und wurde in den Münchner Landtag gewählt – als eine von nur acht Frauen unter insgesamt 180 Abgeordneten.
Anders als viele ihrer Kollegen erkannte sie die Gefahr der jungen Nazibewegung früh: schon im Januar 1923 forderte sie eine Ausweisung des NSDAP-Chefs Hitler. Und sie bekam schnell Wind von den Umsturzplänen des 8. November. Am Abend des versuchten „Bierkellerputsches“ brachte sie einen Großteil der Regierungsmitglieder bei sich in Sicherheit. „Bei sich“ heißt dabei: in der nur wenige Jahre zuvor von ihr gegründete Frauenschule in der Theresienstraße – unverdächtig und unpolitisch. Während die Hakenkreuz-Soldaten durch die Altstadt marschierten, konnte die legitime Staatsregierung Bayerns bereits an einer Resolution arbeiten, die die Putschisten verurteilt. Der damalige Ministerpräsident Franz Matt erinnerte sich später, Ellen Ammann habe in dieser Situation „mehr Mut bewiesen als manche Herren in Männerhosen.“ Mit ihrem schnellen Handeln konnte eine Katastrophe abgewandt werden.
Als die SA-Truppen sich weiter in München ausbreiteten, organisierte sie ein Auto, mit dem sich die Regierung nach Regensburg absetzten und Reichspräsidenten Friedrich Ebert informieren konnte. Schon zum Morgengrauen des 9. November standen Reichswehr-Soldaten bereit und brachten die Lage wieder in Ordnung. Hitler wurde verurteilt, die NSDAP verboten, und die Weimarer Republik durfte – nicht zuletzt dank Ammanns Einsatz – eine kleine Verschnaufpause nehmen.
Ellen Ammann wurde so zur stillen Heldin, auch wenn sie in der damaligen Presse kaum Beachtung fand – was auch nie ihr Ziel war. Während der Folgejahre und im höheren Alter blieb sie weiter eine der führenden Frauenstimmen in Gesellschaft und Politik, während sie sich ihrer sehr großen Familie – sie hatte sechs Kinder – widmete. Die finale Machtergreifung und Diktatur Adolf Hitlers musste sie zum Glück nicht mehr miterleben. Ammann starb 1932 an einem Schlaganfall.
An Ellen Ammann wurde von weltlicher und geistlicher Seite erinnert. Vom Münchner NS-Dokumentationszentrum und dem Museum für Bayerische Geschichte in Regensburg zählt sie zu den frühen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus. Im Münchner Stadtbild ist sie verewigt: Ihr Grab findet sich im Alten Südlichen Friedhof, 1957 wurde eine Straße im Stadtteil Hadern nach ihr benannt.
Für ihre lebenslängliche Missionars- und Wohltätigkeitsarbeit wurde ihr noch zu Lebzeiten der päpstliche Segen „Pro Ecclesia et Pontifice“ verliehen. Der Katholische Deutsche Frauenbund – heute mit fast 200.000 Mitgliedern – erinnert mit Büchern und Ausstellungen an ihre Geschichte und setzt sich für eine Seligsprechung ein. Die von ihr gegründete bayerische Zweigstelle des Vereins organisiert seit 2022 unter dem Titel „Mein Name ist Ellen Ammann“ eine Dauerausstellung in der Münchner Maxvorstadt.
Quellen:
Biografie von Ellen Ammann beim Deutschen Katholischen Frauenbund
Socialnet-Wikieintrag zu Ellen Ammann
Jakob Wetzel: Vergessene Widerstandskämpferin. In: Süddeutsche Zeitung