Als die damals 19-jährige Schauspielerin Elisabeth Wellano 1911 in einem Münchner Abendlokal auftrat, rechnete sie wohl kaum damit, dass dieser Tag ihr Leben verändern würde. Sie trat als Soubrette, also in der Theaterrolle einer Zofe, auf. Da sprach der Kabarettist Karl Valentin sie unverfroren an:
„Sie, Fräulein, ich muss Ihnen schon sagen, als Soubrette sind Sie unmöglich, als Soubrette muss man einen großen Busen haben, außerdem sind Sie viel zu schüchtern, Sie schau’n aus wie ein Kommunionsmäderl auf der Bühne.“
Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass Valentin keineswegs nur stökern wollte, sondern ihr komödiantisches Potential hoch schätzte. Er schlug ihr gemeinsame Texte und – heute würde man sagen – Sketche vor, lud sie zu Treffs und Vorspielübungen ein, bald stellte sich heraus: die beiden waren ein geniales Duo. Von dem Kabarett überzeugt nahm Wellano nahm den Künstlernamen Liesl Karlstadt an. Die beiden traten vor Bühnen in ganz Bayern, spielten Musik und erforschten ein damals noch gänzlich neues Medium: den Film. Zwischen 1929 und 1936 liefen sieben „Valentin-Karlstadt-Filme“ in den Münchner Kinos auf und ab und schufen geflügelte Wörter, die noch Jahrzehnte später zitiert werden sollten, darunter:
„Früher war selbst die Zukunft besser.“
„Heute in mich gegangen – auch nichts los.“
„Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“
sowie den folgenden, zum bayerischen Klischee passenden Spruch:
„Sauft nicht so viel, trinkt‘s lieber ein Bier.“
Trotz des riesigen Erfolgs war die Beziehung zu ihrem Kabarettpartner jedoch oft dysfunktional. Lange litt Karlstadt an psychischen Krankheiten, Sorgen aller Art, verstärkt durch ihre melancholisch-pessimistische Grundeinstellung. Es belastete sie sehr, ständig als „Schatten“ Valentins wahrgenommen zu werden. Nachdem dieser mit einer neuen Partnerin probte, versuchte Karlstadt gar einen Suizidversuch, von dem sie sich nur schwer erholte. Doch bis 1948 versöhnten sie sich und traten kurz wieder gemeinsam auf.
Nach dem Tod Valentins erfand sie sich als Schauspielerin neu – erstmals auch mit ersteren Rollen. Sie trat in den großen Theatern Münchens, im Residenztheater und den Kammerspielen, auf. In der Nachkriegszeit breitete sich zudem – in fast jedem Haus war ein Radio vorhanden – das Hörspiel als größtes Unterhaltungsmedium aus, und Karlstadt machte mit. Ihre Serien trugen Titel wie „Brummelg’schichten“ oder „Familie Brandl“, bestanden aus mal komischen, mal biederen Familienszenen, gespickt mit der für sie typischen Mischung aus volkstümlichen Witz und wohlwollendem Zynismus. So wurde Kalstadt in ihren letzten Jahren zur Münchner Ikone. Und wurde so berühmt, dass man sie auf der Straße auch als „Mutter Brandl“ ansprach.
Im Alter von 67 Jahren, 1960, starb sie während eines Ausflugs zu ihrer Schwester in Garmisch-Patenkirchen. Heute liegt sie im Bogenhausener Friedhof begraben, wo die Münchner an sie erinnern.
Liesl Karlstadt wurde in München zuhauf geehrt: 1964 wurde eine Straße im Stadtteil Fürstenried-West nach ihr benannt. Doch insbesondere in der Innenstadt ist sie kaum zu übersehen: Am Viktualienmarkt wurde ihr ein Brunnen gewidmet, unweit davon, am Isartor, findet sich das „Valentin-Karlstadt-Musäum“, ein Museum über die beiden Kabarettisten. 2008 erschien zudem der ARD-Film „Liesl Karlstadt und Karl Valentin“, der das komplizierte Verhältnis der beiden Komiker aufarbeitete, ihnen jedoch aus eine fiktive Liebesbeziehung dazudichtete. Was die beiden wohl dazu gesagt hätten, zum Thema solch eines Filmes zu werden? Wir wissen es:
„Es gibt in unserer Gegenwart zwei Weiterleben nach dem Tod: Eines im Jenseits und eines im Kino.“
Quellen:
Liesl Karlstadt: ihre Anfänge und frühen Rollen auf der Website des Valentin-Karlstädt Musäums
Kein Wunder, dass die beiden Probleme hatten In: einfach München
Sandra Leibner: Facettenreiche Komikerin und „Mutter Brandl“ In: BR